Grauzonen - Rechte jugendliche Lebenswelten

Charakteristika von Grauzonen – rechten (jugendlichen) Lebenswelten in Musikkulturen

RECHTSROCK

Der so genannte Rechtsrock entstand in den 1980er Jahren. Überzeugte Neonazis begannen, ihre Ideologie in Rocktexte zu verpacken, um sie so einem breiteren Publikum zuzuführen und entwickelten eine eigene Musikkultur. Die stilistische Vorlage lieferte in der Regel Punk. Insbesondere in den 1990er Jahren vor dem Hintergrund einer erstarkenden extrem rechten Szene in Deutschland verbreitete, radikalisierte und professionalisierte sich der Rechtsrock hier zusehends. Dabei beschränkte sich der Rechtsrock bald nicht nur auf neonazistische Skinheadmusik, sondern umfasste sämtliche Musikstile wie Rock, Pop, Metal, Hardcore, Dark Wave, Black Metal, Balladen, Gabber oder auch HipHop. Rechtsrock bezeichnet somit keine musikalische Stilrichtung, sondern bezieht sich auf den rechten Inhalt der Liedtexte, so dass auch rechte Liedermacher*innen unter den Begriff Rechtsrock subsumiert werden müssen.

Rechtsrock wurde zunehmend von rechten Strukturen als ein wichtiges politisches Instrument angesehen. Rechtsrockmusik wurde und wird als Mittel der Bestätigung und Verfestigung rechter Ideologie eingesetzt ­und die initiierten (illegalen) Konzerte sollten und sollen identitätsstiftende und gruppendynamische Prozesse fördern. Weiter wurde und wird Rechtsrock auch für die Politisierung von Jugendlichen eingesetzt. Insbesondere die im Kontext der Musik stattfindende gemeinsame Freizeitgestaltung wie Konzertbesuche sollten und sollen eine weitergehende Politisierung fördern. Beispielhaft für den Einsatz von Rechtsrock als politisches Mittel waren dafür die vor allem in den 1990er Jahren weltweit aktiven Blood&Honour-Strukturen sowie in den 2000er Jahren die so genannten NPD-Schulhof-CDs. Bereits Ende der 1990er Jahre nahm die staatliche ­Repression gegen Rechtsrock in Deutschland zu, Konzerte wurden verboten und aufgelöst und viele Bands vom Verfassungsschutz beobachtet und deren Musik auf den
Index gesetzt. Dies trug dazu bei, dass der öffentliche Spielraum für eindeutigen Rechtsrock eingeschränkt wurde. Gleichzeitig trug die staatliche Repression aber auch dazu bei, dass der Rechtsrock noch mehr als bisher für viele Jugendliche den Flair des Gefährlichen und Rebellischen bekam, beispielsweise beim Besuch von (vermeintlich geächteten/verbotenen) Konzerten, was wiederum noch mehr Spaß und Action bedeutete. Gleichzeitig stärkte dies auch das Gefühl einer elitären Gemeinschaft, denn nur »Auserwählte« erfuhren von den geheim organisierten Konzerten, dies stärkte somit auch eine innerszenische Bindung.

Die extreme Rechte hat sich im Hinblick auf ihren jungen Nachwuchs in den letzten fünfzehn Jahren stark verändert. Traditionelle Organisationsformen sowie die klassische rechte Skinheadkultur haben für rechte Jugendliche nahezu vollkommen an Bedeutung verloren. Dies mag unter anderem der allgemeinen Veränderung von Jugendkulturen geschuldet sein, die sich heute stärker durchmischen, wodurch nicht mehr die klassischen statischen Abgrenzungen wie früher existieren. Ein ideologischer Rahmen, der alle Lebensbereiche diktiert, wird auch von immer mehr jungen Rechten abgelehnt. So findet sich auch in der rechten Jugendkultur ein Mix aus diversen Jugendkulturen wieder, die auch unterschiedlichste Musikrichtung explizit einschließt. Grundsätzlich ist für Jugendliche mit einer rechten Einstellung schon immer ein Konzert wesentlich spannender und interessanter gewesen als eine Parteiveranstaltung. Während eine aktive Parteimitgliedschaft als eine Einschränkung der persönlichen Freiheit und politischen Unabhängigkeit empfunden werden kann, ermöglicht der Konsum rechter Musik eine unabhängige und zu nichts verpflichtende Teilhabe an rechten Inhalten. Insbesondere das Internet nimmt bei dieser unverbindlichen Annäherung eine zentrale Rolle ein. Hier können sich »Neugierige« sogar indizierte Musik und Musikvideos downloaden, ohne sich zu irgendetwas zu verpflichten.

Tipp zum Weiterlesen:
CHRISTIAN DORNBUSCH, JAN RAABE (Hg.): RechtsRock - Bestands­aufnahme und Gegenstrategien, Münster 2002

 

GRAUZONEN

Der Begriff Grauzonen – rechte (jugendliche) Lebenswelten in Bezug auf ­Musikkulturen beschreibt musikalische Szenen, die rechte Ideologieelemente vertreten. Zudem weisen die musikalischen Milieus der »Grauzonen« eine ernstzunehmende inhaltliche/ästhetische und/oder historische/strukturelle Verstrickung mit der (extremen) Rechten auf. Sie sind jedoch nicht zur expliziten Rechtsrockszene zu zählen, da sie öffentlich behaupten, nicht (extrem) rechts zu sein und auch mit der rechten Szene nicht in Verbindung zu stehen. Die musikalischen »Grauzonen« sind nicht nur auf ein paar große Bands beschränkt, sondern umfassen ein heterogenes Gebilde aus einer Vielzahl kleiner Bands sowie Fan- und Freundeskreise. Innerhalb dieser Spektren bestehen ­eigene Netzwerke, die über ihre eigenen Räume, Szenemagazine, Riten, Internetseiten und -foren, Treffpunkte und Events verfügen. Es gibt eine Vielzahl von Fangruppen, die sich über ihre Fanseiten miteinander austauschen. Diese realen wie auch die virtuellen Räume sind für die individuelle und kollektive Identitätskonstruktion und den inneren Zusammenhalt der Szene wichtig. Neben ihrem homogenen Außenbild und einer Vielzahl an realen Gemeinsamkeiten sind die Grauzonen, wie jede andere Szene, aber auch extrem heterogen und weisen Brüche und Abgrenzungen auf.

Zentral für die verschiedenen musikalischen Grauzonen – rechten (jugendlichen) Lebenswelten sind die Bands, um die sich die verschiedenen Spektren gruppieren. Demzufolge ist es wichtig, sich mit den Bands eingehend auseinanderzusetzen. Im Folgenden soll es um die Bandhistorie, politische Verortung der Bands und ihre Wertvorstellungen sowie ihre Inszenierung gehen.

Aufschlussreich für die Einordnung von Bands ist es, sich ihre Historie (bzw. die politische Biographie einzelner Bandmitglieder) anzusehen, ihre Lieder zu analysieren und die Zusammenhänge/Netzwerke, in denen sich die Bands bewegt haben bzw. weiterhin bewegen, zu betrachten. Zum Beispiel kann man sich ansehen, bei welchen Veranstaltungen und Festivals die Band regelmäßig aufgetreten ist und wie diese Auftritte von der Band in der Öffentlichkeit dargestellt wurden. In vielen Fällen ist zu beobachten, dass Mitglieder aus Bands der »Grauzonen« vorher in eindeutigen Rechtsrockbands gespielt haben und/oder in extrem rechten Gruppen aktiv waren. Eine solche Vergangenheit versuchen die Bands in der Regel zunächst zu verheimlichen oder zu bagatellisieren, indem diese beispielsweise als »Jugendsünde« abgetan wird. Wenn öffentlicher Druck entsteht oder zu entstehen droht, bedienen sich entsprechende Bands häufig zweier Strategien: Einerseits werden die Kritiker*innen als »Moralapostel« abgetan und andererseits sprechen sich die Bands plakativ gegen Faschismus aus. So wird die Parole »Gegen Faschismus« zu einem beliebten Lippenbekenntnis für Bands der »Grauzonen«. Eine neue Strategie ist es, sich gegen »Extremismus« auszusprechen. Damit wird auf die so genannte Hufeisenthe­orie Bezug genommen, die von einer demokratischen Mitte der Gesellschaft ausgeht, die durch extremistische Ränder von links und rechts bedroht sei. Zum einen wird dadurch ausgeblendet, dass Ungleichwertigkeitsideologien wie Rassismus und Antisemitismus auch ein Problem der Mitte sind und zum anderen wird linke und antifaschistische Theorie und Praxis mit der menschenverachtenden Ideologie und Praxis von (Neo-) Nazis gleichgesetzt.

Im Gegensatz zu Rechtsrockbands stellen Bands aus dem Spektrum der »Grauzonen« ihre politische Intention nicht in den Vordergrund. Eine Behauptung dieser Bands ist es, sie seien selber unpolitisch/apolitisch und verträten kein politisches Anliegen mit ihrer Musik. Ihre vermeintlich apolitische Einstellung konstruieren sie häufig auch durch ein eingeschränktes Politikverständnis, welches Politik auf den Bereich von Parteien, Staat und Regierung reduziert. Außerparlamentarische Politik oder Politik im Kontext von Kultur (Kunst, Musik oder Literatur) existiert in diesem Verständnis nicht und eigene politische Äußerungen werden als private Meinungen dargestellt. Das eigene politische Weltbild wird als die persönliche und »natürliche« Sichtweise auf die Welt angesehen. In dieser Argumentation wird vollkommen ausgeblendet, welche Wirkung die Meinungsäußerung von Musi­ker*innen, die auch Vorbild und Idol sind, hat. Als Person des öffentlichen ­Lebens ist beispielsweise eine Positionierung in einem Interview immer auch im großen Maße öffentlich.

Charakteristisch für die musikalischen»Grauzonen« ist das Vertreten von konservativen, reaktionären bis rechten Wertvorstellungen. Insbesondere die Bezugnahme auf das vermeintlich »Natürliche« spielt in den »Grauzonen« eine entscheidende Rolle, beispielhaft ist dabei der positive Bezug auf Nation und traditionelle Geschlechterbilder. Der Stolz auf die eigene Nation wird als »natürlich und angeboren« angenommen. Daraus folgt, dass eine nationalistische Einstellung nicht als überlegte Entscheidung gilt und somit auch nicht weiter begründet oder hinterfragt werden muss. Dass es sich bei Nationen um politische Konstruktionen handelt wird ausgeblendet, stattdessen wird ein ­Nationalgefühl bemüht, das mit Begriffen wie Natur, Heimat, Volk, Tradition, Sprache, Brauchtum und Kultur in beliebigen Kombinationen gefüttert wird. Dabei existiert keine einheitliche Definition der Begriffe, sondern diese werden individuell und vor allem emotional erläutert. Häufig argumentieren die Bands, dass sie gegen Nationalismus seien und selber nur einen (harmlosen) Patriotismus vertreten würden. Bei einer genauen Textanalyse der Songs ist jedoch festzustellen, dass die Darstellung von Nation und Volk den Kriterien des (völkischen) Nationalismus entspricht. Damit bedienen diese Bands ein zutiefst reaktionäres und rechtes Weltbild. Während Nationalismus allgemein als historisch zu stark belastet erscheint, wird Patriotismus inzwischen in der bundesdeutschen Gesellschaft allgemein anerkannt. Mit der öffentlichen Abgrenzung von diesen Bands gegenüber Nationalismus und dem stattdessen vermeintlichen Vertreten eines unverfänglichen Patriotismus soll Kritiker*in­nen von vorneherein der Wind aus den Segeln genommen werden. Innerhalb der »Grauzonen« werden äußerst tradi­tionelle und patriarchal geprägte Geschlechterrollen vertreten und gelebt, begründet wird dies ebenfalls mit einer »naturgegebenen« Geschlechterteilung. Auffällig ist sowohl beim vertretenen Patriotismus/Nationalismus als auch bei den traditionellen Geschlechterrollen, dass es darum geht einen vergangenen Zustand wiederherzustellen und emanzipatorische gesellschaftliche Entwicklungen abzulehnen.

Wie bereits beschrieben umfasst Pop- und Rockmusik immer auch eine umfangreiche Inszenierung der Bands. Auch die Musikkulturen der »Grauzonen« haben ihre eigene sie charakterisierende Inszenierung, Ästhetik, Bekleidungscodes und Symbole. Wenn Bandmitglieder in diesen Musikkulturen einen Thorshammer als Kettenanhänger tragen oder ein Eisernes Kreuz als T-Shirt-Print, dann sind sie sich der Wirkung dieser Symbole sehr wohl bewusst und inszenieren diese entsprechend.

Die Musikkulturen der von uns untersuchten »Grauzonen« sind nicht nur männerdominiert, sondern sie inszenieren sich auch in besonderem Maße als patriarchale Männerwelt. So ist das Auftreten der Bands – sei es in Videos oder auf Konzerten –getragen von martialischem Auftreten, männlicher Härte, Gewalt und Kraft. Die Songtexte wenden sich in besonderem Maße an Männer. Frauen tauchen in der Regel in dieser Männerwelt kaum auf. Wenn sie in Videos in einer Nebenrolle zu sehen sind, werden sie reduziert auf ihr Äußeres, sie erscheinen schutzbedürftig oder nehmen die Rolle als Hausfrau oder ­Mutter ein. Auffallend ist auch die Abwesenheit von Frauen auf Konzerten der »Grauzonen«.

Gekoppelt ist dieses patriarchale Geschlechterbild an ein Rebellenimage. Rockmusik umgab schon immer ein Flair der Rebellion. Heutzutage ist die Rebellion leicht herzustellen durch (vermeintliche) Anti-Mainstream-Musik und ein vermeintlich subkulturelles Image mittels Tattoos und Piercing. Durch Bandmerchandise ist es für den Fan ein Leichtes, dieses Rebellen-Label zu adaptieren. Somit reicht das Tragen eines Bandshirts aus, um kurzfristig dem eigenen Alltagstrott zu entfliehen und sich als etwas Besonderes zu inszenieren. Identitätsfindung hat immer auch etwas mit Abgrenzung zu tun, die mal mehr, mal weniger expressiv ausfallen kann. Das Charakteristische an dem Rebellentum dieser Bands ist es, dass einerseits rebellische Attitüden vorgegeben werden und andererseits konservative bis rechte Vorstellungen vertreten werden. Folg­­lich stellen die Musikkulturen der »Grauzonen« eine neue konservative Rebellion dar.

Schlussfolgerung

Auch wenn in Liedtexten der »Grauzonen« rechte Ideologieelemente nicht offen wie im Rechtsrock vertreten werden, so kann ihr regelmäßiger unreflektierter Konsum doch dazu beitragen, dass rechte Orientierungen verfestigt werden. Somit hat diese Musik eine identitätsstiftende Wirkung für rechte Jugendliche. Eigene Frustration, Wut, Ängste und Unsicherheiten können junge Menschen mit dieser Musik bearbeiten. Dadurch wird auch die eigene Arbeit, die die Selbstsozialisation bedeutet, enorm erleichtert – schließlich können einfache und fertig konstruierte Vorstellungen und Identitäten übernommen werden. Diejenigen, die daran Kritik üben, werden als »Moralapostel« verunglimpft und entsprechend abgewertet. So wird Kritik abgewehrt und Feindbilder, auf die der eigene Frust abgeladen werden kann, werden konstruiert. Darüber hinaus hat Musik aus »Grauzonen« eine gemeinschaftsbildende, integrierende und gruppenstabilisierende Funktion für rechtsorientierte Peergroups. Musik und Szene bieten den Hörer*innen einen Rahmen, seine bzw. ihre individu­ellen Vorurteile, Ängste und etwaigen Minderwertigkeitsgefühle mit dem Rekurs auf seine bzw. ihre eigene vermeintliche kollektive Identität als Deutsche*r positiv aufzulösen und jeden Tag aufs Neue zu inszenieren.

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